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Lesetipp Mai 2014: Das erste Fußballspiel der Welt

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Ducklinks 1 - April 2014 »


Der Fußball ist ein kurzlebiges Geschäft. Er orientiert sich am Erfolg, der als letztgültiger Bewertungsmaßstab auftritt. Das heute noch gepriesene Team, die heute noch gerühmte Taktik können bereits morgen in Ungnade fallen, sollten sie diesem nicht länger genügen. Als Spiel ist der Fußball zugleich aber auch zeitlos. Am Ende muss das Runde immer ins Eckige. Von diesem scheinbar simplen Grundprinzip ging von Anbeginn eine Faszination aus, die nach wie vor ungebrochen ist und auf beispiellose Weise generationenübergreifend wirkt.
Diese beiden Aspekte des Fußballs – Kurzlebigkeit und Zeitlosigkeit – bilden die Leitmotive jenes Comics von Romano Scarpa, der vor vierzig Jahren anlässlich der Weltmeisterschaft in der BRD entstanden ist. Indem der venezianische Maestro in "Das erste Fußballspiel der Welt" zunächst eine Geschichte über den Ursprung der Sportart erzählt, etabliert er deren Traditionscharakter und präsentiert sie als eine Konstante im Wandel der Zeit. Ob nun Kürbis oder Ball: Wenn ein Tor fällt, wird gejubelt (bzw. geflucht). Sobald die Story jedoch in der Gegenwart angelangt ist, ändert sich der Tonfall. Mit einem Mal wird der Leser recht unverhohlen mit den Auswüchsen des Erfolgsdiktats konfrontiert, welches fast schon zwangsläufig betrügerische Machenschaften hervorbringt. So verdeutlichen sowohl die Dribbelbauer-Episode als auch Dagoberts Pakt mit Gundel, was passiert, wenn der Erfolgswunsch zum Selbstzweck wird. Dass jeder Triumph im Fußball zudem hochgradig vergänglich ist, führt uns Scarpa zuerst am Beispiel des alternden Stars Uli Seiler vor, der sich ständig beweisen muss, noch nicht zum alten Eisen zu gehören, und dann an "Titan" Donald, der binnen eines Augenblicks vom gefeierten Helden zum Buhmann der Nation wird. Die in diesen Szenen explizit thematisierte Kurzlebigkeit des Fußballalltags kommt mitunter übrigens eher unbeabsichtigt zum Vorschein. Wenn Dagobert an einer Stelle fragt, wer in einer Fußballelf abgesehen vom Libero der wichtigste Mann sei, dürfte er beim heutigen Leser bestenfalls Belustigung hervorrufen.
Bemerkenswert an Scarpas Umgang mit dem Thema "Betrug im Fußball" ist sicherlich sein Verzicht auf einen Schurken im klassischen Sinne. Er hätte es sich leicht machen und eine Figur verwenden können, die einfach deshalb die Regeln bricht, weil sie moralisch verdorben ist. Dann hätte der Leser mit den Schultern gezuckt, sich gesagt "Schwarze Schafe gibt es immer!", und das eigentliche Problem vermutlich ignoriert. Stattdessen entscheidet er sich dafür, die betrügerischen Gebrüder Dribbelbauer zu vermenschlichen, indem er ihnen eine von geplatzten Lebensträumen und aufopferungsvoller Bruderliebe geprägte Hintergrundgeschichte verleiht. Umgekehrt verhalten sich bei ihm selbst die moralisch gemeinhin guten Figuren keinesfalls einwandfrei. So stellt der Leser verblüfft fest, dass nicht einmal die sonst so tugendhaften Neffen gegen die korrumpierende Verlockung des Erfolgs immun zu sein scheinen. Anstatt sich kategorisch gegen jede Form von Schiebung auszusprechen, treten sie an entscheidender Stelle sogar als Verführer auf, wenn sie Dagobert mit rhetorischem Geschick dazu überreden, die Vereinbarung mit Gundel zu ehren, damit Donald seine durch Hexenzauber ergaunerten Torwartfähigkeiten behält und Entenhausen Weltmeister wird. Irgendwie ernüchternd.


Der thematischen Dichte der Story steht ihre disparate und eher episodisch angelegte Erzählstruktur gegenüber. Einem spezifischen Genre ist sie ohnehin nicht zuzuordnen, vielmehr kombiniert sie geschickt verschiedene altbewährte Motive (u. a. Familie Duck in der Vergangenheit, Dagobert vs. Klever, das detektivische Gespür der Neffen) und bleibt auf diese Weise trotz ihrer Länge von 92 Seiten stets unterhaltsam. Zum Lesegenuss trägt dabei entscheidend das Artwork Scarpas bei. Es entstammt der zeichnerisch womöglich besten Phase seiner Karriere, in der sein Stil die Dynamik und Ausdrucksstärke seines Frühwerks mit einer im Laufe der Jahre erarbeiteten Eleganz vereint. Und so verwundert es nicht, mit welcher mühelosen Selbstverständlichkeit sich bei ihm stimmungsvolle und actionreiche, heitere und emotional intensive Szenen abwechseln. Wem es gelingt, die unheimliche Atmosphäre des schottischen Hochmoores heraufzubeschwören, um in diesem Rahmen sodann ein schwungvoll und mit Bildwitz inszeniertes "Fußballspiel" stattfinden zu lassen, der darf wohl als Meister seiner Kunst betrachtet werden.
Machen wir es kurz: Ist die Geschichte nur für Fußballfans von Interesse? Keineswegs. – Eignet sie sich als Einstimmung auf die WM in Brasilien? Mit Abstrichen. – Lohnt es sich, sie (mal wieder) zu lesen? Absolut! – In welchen Bänden ist sie enthalten? Im Lustigen Taschenbuch Nr. 82, im LTB Spezial Nr. 5 sowie im zweiten Band der LTB-Jubiläumsedition von 2007. Also, auf geht’s!



Zuletzt aktualisiert: 04.07.2016, 20:16
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